Bisher 3206 mal gelesen, davon heute 0 mal
Lesedauer | 9 Minuten
Ein Gastbeitrag von Thomas Weber
Über den Autor
T.I.C.S. war ein City-Damenrad der Marke Staiger®, das 1992 in den Handel kam. Der Name stand für „Total Integrated City System“; dieser war bis zum Jahr 2002 als Wort-Bildmarke für die Firma Staiger-Zweirad GmbH, 70839 Gerlingen, Deutschland eingetragen (Deutsches Patent- und Markenamt 2015).
Modelle
Das Damenrad (es gab kein Herrenmodell) war auffällig zweifarbig lackiert: Blaue Rahmen wurden mit roten Anbauteilen (Lenker, Schutzbleche, Gepäckträger, Rockschutz) versehen. Rote Rahmen bekamen blaue Teile, sodass zwei verschiedene Grundmodelle entstanden. Diese konnten u.a. mit Fichtel & Sachs® 3-Gang- oder 5-Gang Naben geliefert werden. Außerdem gab es eine Variante mit einer 7-Gang Shimano® Nabenschaltung, die man am blauen Rockschutz erkennen konnte. Die Rahmenhöhe betrug 50 cm. Es hatte 26 Zoll Laufräder mit schwarz lackierten Hohlkammer-Alufelgen „Competition“ der Marke Zigurat ® (ETRTO 34C-559). Montiert waren Reifen Dimension 44-559 (26X1.6) Typ: Continental® Goliath Semislick.
Auszeichnung
Das Fahrrad erhielt 1992 vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC) den Titel des Fahrrads des Jahres (Peter Rohleder 1993).
Ein durchdachtes Fahrrad
Bei der Entwicklung des Fahrrades legten die Techniker der Staiger GmbH großen Wert auf die Kompatibilität mit anderen Verkehrsmitteln, besonders die Nutzbarkeit im öffentlichen Personen Nahverkehr stand im Vordergrund. Zum Transport des Rades in Bus oder Bahn, konnten die Pedale und der Lenker einfach eingeklappt werden, ebenso war der Sattel mit Schnellspann-Verschluss verstellbar. Problematisch hierbei war allerdings das hohe Gewicht des Rades. In einem Rad-Forum wurde es so kommentiert: „Das ist kein Fahrrad, das ist ein zweiraedriger Eisenwarenladen.“ (Martin Emmerich 1993)
Außerdem legten die Entwickler den Focus auf Sicherheit. Einer der Mitentwickler war der Fahrradsachverständige Ernst Brust aus Schweinfurt (Zweiradmagazin 11/1992). Die Väter des T.I.C.S. zogen sogar die Polizei zu Rate. Man setzte auf besonders auffälliges Aussehen des Rades. So sollte verhindert werden, dass Radfahrer im Verkehr übersehen werden (Peter Rohleder 1993). Das erklärt das bis Dato einmalige Design.
Aber auch technisch wurde für Sicherheit gesorgt. Dazu diente das erste(?) Standlicht an einem Fahrrad: Während eines Ampelstopps in der Dunkelheit sorgte die serienmäßige Standlichtanlage für mehr Sicherheit. Ein kleiner Blei-Akku (6V – 1,1AH) lieferte bis zu vier Minuten Licht; geladen wurde er während der Fahrt durch den Rollen-Dynamo (vom Hersteller Union®) am Hinterrad. Einen sicheren Stand beim Abstellen bot ein massiver Hebie®-Zweibeinständer, der an einer Stahlplatte montiert war.
Lastesel
Das Rad war als „Lastesel“ konzipiert und bot neben der Möglichkeit, einen Lenkerkorb an den Löchern am Lenker einzuhängen, zusätzlich vorne einen Gepäckträger.
Am hinteren Gepäckträger waren mit Klettbändern zwei Transporttaschen in Metallkäfigen geschützt angebracht. Das Ladevolumen dieser Taschen konnte durch Öffnen/Schließen von umlaufenden Reißverschlüssen angepasst werden. Dabei entfaltete sich an der Rückseite der Taschen eine hellgelbe Stofffläche, von hinten sehr auffällig. Auch zur Seite hin waren an den Taschen hellgelbe Flächen eingearbeitet.
Auf dem Gepäckträger (Atran® 25 kg) ließ sich ein Zusatzträger einhängen, der mit einem Schlüsselschloss gesichert war. Ohne diesen Zusatz befand sich dort ein Schutzbügel für den Akkukasten des Standlichts. Ohne eingesteckten Einsatz musste der Schlüssel im Schloss (Basta®) verbleiben.
Um die Auffälligkeit zusätzlich zu erhöhen, waren auch die Lenkergriffe (mit Gel-Einlage) signalgelb.
Das T.I.C.S. sollte aber nicht nur auffällig / sicher, sondern wartungsarm und langlebig sein. Das wurde durch die verwendeten Materialien, Farben und Ausstattungsmerkmale erreicht. Die Rahmen waren aus gemufftem Stahl, die Farben blau-rot mit gelbem Spiralschloss. Die Lichtleitungen waren im Rahmen (innen), bzw. in den Schutzblechen (in Kabelkanälen) verlegt.
Weitere Ausstattung
- Die Kurbelsätze waren schwarze „Coronado-light“ der Marke thun® mit Klapppedalen aus Guss/Stahl und einem schwarzen Alu-Kettenschutz.
- Als Sattelstütze wurde eine schwarze Alu-Patentsattelstütze der Marke Humpert® genutzt – mit Schnellspann-Verschluss. Als Sattel war darauf zumeist „LiteGel“ der Marke Vetta® montiert.
- Weitere Details sind u.a. der Spritzschutz am vorderen Schutzblech, sowie die neuartige Klingel ohne Hebel, die unterhalb des Lenkers angebracht war.
- Als Diebstahlschutz war ein Rahmenschloss (Basta®) mit zusätzlich angebautem Spiralschloss angebracht, sodass das Rad mit einem Schlüssel nicht nur ab-, sondern auch angeschlossen werden konnte. „Als Option liefert der Zweiradbauer auch eine Alarmanlage. Versucht ein Dieb das Fahrrad zu stehlen, ertönt ein markanter lauter Dauerton“ (Peter Rohleder 1993).
Verkaufspreis
Der Preis des Rades sollte sich unter 1000 DM bewegen (Peter Rohleder 1993), lag aber je nach Ausführung / Radladen wohl deutlich darüber; nach Aussagen von Erstbesitzern zwischen 1400 und 1600 DM.
Schwierige Zeiten bei Staiger
Problematisch waren zu dieser Zeit die andauernden Veränderungen bezüglich der Marke Staiger. „1988 erfolgte die Übernahme durch die E. Wiener GmbH & Co. KG in Schweinfurt. Die Produktion in Gerlingen bei Stuttgart wurde beendet und in Schweinfurt fortgeführt. 1994 wurde auch das Vertriebsbüro in Stuttgart geschlossen. 1997 gingen die beiden Marken Winora und Staiger auf die Winora-Staiger GmbH über, welche seit 2002 zur holländischen Accell Group gehört…. (Quelle: Wikipedia 2011-02-24)“ (Frank Lompscher).
T.I.C.S. heute
26 Jahre nach Markteinführung fällt ein T.I.C.S. auch heute noch auf (meist schwer beladen)!
Zum Verkauf angebotene T.I.C.S. sind zuweilen in gutem Zustand (wenig gefahren). Meist benötigt die Getriebenabe eine Wartung mit Austausch der Schmierung. Bei verharzten Schmiermitteln macht besonders die zweizügige Pentasport-Nabe® von Fichtel & Sachs® Schwierigkeiten. Sie schaltet dann nicht mehr (flüssig) in den 4.Gang.
Die Nylontaschen haben die lange Zeit in der Regel nicht überstanden. Fehlende Schlüssel sind ein großes Problem, da ohne Schlüsselnummer keine Nachschlüssel angefertigt werden können. Die Blei- Akkus haben ihre Funktion längst aufgegeben, sodass die Standlichtfunktion nicht mehr funktioniert. Neue Akkus des Typ A206 sind zwar noch verfügbar, allerdings ist die Platine im Akkukasten oft korrodiert oder der Mikroschalter an der Unterseite defekt. Kondensator-Standlicht-Rückleuchten schaffen Abhilfe und können problemlos montiert werden. Lediglich ein Masse-Anschluss muss gelegt werden (je nach Ausführung der Lampe).
Abhilfe bei Verschleiß
Wurde das Rad heftig genutzt und stark der Witterung ausgesetzt, sind die dünnen Metallstreben am Gepäckträger meist abgerostet, auch der vordere Gepäckträger ist ein frühes Korrosionsopfer. In solchen Fällen empfiehlt sich die Montage eines Korbes am Lenkerrohr, da durch die besondere Form des Lenkers keine Korb-Halterungen (Klick o.ä.) am Lenker angebracht werden können. Fehlt der Rollendynamo und die entsprechende Halterung, können batterie-/akkubetriebene Stecklichter Abhilfe schaffen, denn es fehlt eine Halterung für einen Seitenläufer-Dynamo. Ist das Vorderrad beschädigt, empfiehlt sich ein Nabendynamo-Laufrad im Austausch.
Die Erhaltung eines T.I.C.S.-Fahrrades lohnt sich (fast) immer. Die Rahmen sind sehr langlebig, Lackierung (Pulverbeschichtung) ist strapazierfähig, das Design fällt auch nach 26 Jahren noch auf und Räder im ÖVPN sind heute im Alltag angekommen. Durch die Rahmengeometrie fährt sich ein T.I.C.S.-Rad sehr bequem, sicher und leichtgängig – auch schwer beladen. Es ist zwar kein modernes Lastenrad aber ein bunter „Lastesel“-Klassiker.
Zusammenfassung
T.I.C.S. ist Fahrrad der Marke Staiger®, das ab 1992 verkauft wurde. Es zeichnet sich durch hohe Auffälligkeit, technische Innovationen, besonderes Design und Langlebigkeit aus. Die besondere Eignung als transportables Lastenrad macht es auch heute noch zu einem Klassiker-Fahrrad mit hohem Alltagswert.
Quellen
Zum Zweiradmagazin 11/1992 unter https://www.velotech.de/sites/files/mein_rat_fuer_dein_rad.pdf Stand: 26.08.2018
Peter Rohleder: Beitrag über das T.I.C.S vom 19.01.1993
https://groups.google.com/forum/#!topic/de.rec.fahrrad/4s2JxxD6mrI Stand: 26.08.2018
Martin Emmerich – 16.03.1993:
https://groups.google.com/forum/#!msg/de.rec.fahrrad/UICDKKBC26c/DaTLKRGPwm0J Stand: 26.08.2018
Zur Marke Staiger:
Frank Lompscher http://www.mein-schaufenster.com/Fahrrad/Marken/staiger.html
Wikipedia 2011-02-24
Englische Version
Wie hat Dir der Artikel gefallen?
Der Bericht war sehr interessant weil ich im Besitz dieses Fahrrades bin und es immer noch sehr gut erhalten und im Orginalzustand ist. Es wurde immer im Schuppen abgestellt oder mit einer Plane abgedeckt. Ich liebe dieses Fahrrad wenn es auch schwer ist wenn es aber mal läuft dann läuft es.
Dieses Fahrrad ist für mich unverkäuflich denn ich würde es niemals hergeben schon allein wegen seinem Aussehen. Ich bin seit 1992 im Besitz des Fahrrades.
Hallo Regina, freut mich, dass Du so viel Freude an diesem wirklich besonderen Fahrrad hast.
Ich habe noch ein paar T.I.C.S in Reserve, falls Du mal eins brauchen solltest 😉
Gute Fahrt Thomas